Das ENSO-Phänomen

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Hypothesen zur Erklärung von ENSO

Einleitung

Ein wirklich konsistentes Erklärungsgebäude für ENSO liegt gegenwärtig trotz des guten Verständnisses der einzelnen Abläufe noch nicht vor. Aber alle überzeugenden Theorien beinhalten Wechselwirkungen zwischen dem Ozean, der Atmosphäre und äquatorialen Ozeanwellen. Manche Wissenschaftler betonen eher den meteorologischen, andere den ozeanographischen Aspekt des gekoppelten meteorologisch-ozeanographischen ENSO-Phänomens.

Die theoretischen Erklärungen von ENSO können grob in zwei Kategorien eingeteilt werden:

In beiden Kategorien ist die Bjerknes'sche positive Ozean-Atmosphären-Rückkopplung im tropischen Pazifik enthalten (Bjerknes 1969). Sie führt das ENSO-Ereignis in eine Reifephase.

Nachdem ein El Niño seine Reifephase erreicht, sind negative Rückkopplungen (negative feedbacks) vonnöten, um das Wachstum der unter El Niño-Bedingungen entstandenen Anomalien im zentralen und östlichen Pazifik zu beenden. Vier negative Feedbacks sind in verschiedenen Oszillationsmodellen vorgeschlagen worden:

  1. Kelvinwellen, die am westlichen Pazifikrand reflektiert werden
  2. ein Entladungsprozess aufgrund von Sverdruptransport
  3. Kelvinwellen, die von westpazifischen Winden angetrieben werden
  4. anomale zonale Advektion und Wellenreflexion an der Ostgrenze des Ozeans.

Diese vier ENSO-Mechanismen werden als delayed oscillator (d.e. verzögerter Oszillator), recharge–discharge oscillator (d.e. Wiederaufladungs-/Entladungsoszillator), western-Pacific oscillator (d.e. westpazifischer Oszillator) und advective–reflective oscillator (d.e. advektiv-reflektierender Oszillator) bezeichnet.

Der unified oscillator (d.e. vereinheitlichter Oszillator) wird durch die Einbeziehung aller ENSO-Mechanismen entwickelt, d. h. alle vier ENSO-Oszillatoren sind Spezialfälle des unified oscillators. Die Wechselwirkung zwischen dem tropischen Pazifik und der Atmosphäre kann auch gekoppelte langsam westwärts und ostwärts verlaufende Moden hervorrufen. Ein Vorteil der gekoppelten langsamen Moden besteht darin, dass sie zur Erklärung der Ausbreitungseigenschaft der zwischenjährlichen Anomalien herangezogen werden können, während die oszillierenden Moden eine permanente Oszillation erzeugen.

Die Fachwelt hat sich in letzter Zeit mit verschiedenen Arten von ENSO-Ereignissen befasst und sich dabei auf das zentralpazifische El Niño konzentriert. Alle ENSO-Mechanismen können für die zentralpazifischen El Niño-Ereignisse wirken, mit dem Zusatz, dass das zentralpazifische El Niño mit Antrieben oder Prozessen im außertropischen Pazifik in Verbindung stehen kann. (Wang, Ch. 2018)

Die Akkumulationshypothese nach Wyrtki

Der deutschstämmige Ozeanograph Wyrtki (1975) sieht in ENSO eine energetische Relaxation (ein sich entladender Energiestau) des gekoppelten Systems Ozean-Atmosphäre: Der durch die Passate ausgeübte Windschub führt zu einer Ansammlung (Akkumulation) von warmem Oberflächenwasser im Westpazifik, verbunden mit einem höheren Niveau des Meeresspiegels (rd. 40 cm) im Westen gegenüber dem im Ostpazifik. Dieser Vorgang kann mehrere Jahre andauern bis eine kritische Menge warmen Wassers angestaut ist. Ohne die meridional ausgerichteten Küstenbegrenzungen im Pazifik wäre diese Ansammlung nicht möglich. Ist eine kritische Menge von warmem Wasser angestaut, so kann ein rasches Abschwächen der Passate (Auslösefunktion) eine sich nach Osten ausbreitende äquatoriale ozeanische Kelvinwelle auslösen, die zu einer massiven Verlagerung des warmen Oberflächenwassers vom West- in den Ostpazifik entlang des Äquators führt. Ein El Niño-Ereignis entsteht. Hiermit ist eine Verlagerung des maximalen Wärmeflusses vom Ozean in die Atmosphäre und somit auch des Gebietes mit konvektivem Niederschlag von Indonesien in den Zentralpazifik verbunden. Das warme Wasser wird nach Erreichen der amerikanischen Küste nach Norden bzw. Süden abgelenkt und geht damit dem tropischen Pazifik verloren. Insofern ist ein El Niño ein Weg für den tropischen Pazifik, Wärme abzuführen. El Niño wird in diesem Konzept als isoliertes Ereignis gesehen.

Die Folge des Versiegens des Warmwasserstroms von Westen ist eine Abkühlung des äquatorialen Oberflächenwassers im Ostpazifik, und das heißt eine La Niña. Über dem kalten Wasser kühlt sich auch die Luft ab, wodurch die Passate wiederbelebt werden.

Ein vollständiger ENSO-Zyklus hat somit einen Wärmetransport aus den Tropen zu höheren Breiten hin zur Folge; diese Wärme kann nur durch eine erneute langsame Ansammlung warmen Oberflächenwassers im tropischen Westpazifik durch wiedererstarkte Passate neu gewonnen werden. Der zeitliche Abstand zwischen zwei ENSO-Ereignissen ist also von der Dauer zum "Aufladen" des Wärmereservoirs im Westpazifik bis zur kritischen Grenze bestimmt. Nach Wyrtki ist ENSO demnach das Resultat der Kopplung eines aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten weitgehend vorherbestimmten, ("deterministischen") Ozeans mit einer zufällig agierenden ("stochastischen") Atmosphäre, da spontane Anomalien des Windfeldes ozeanische Prozesse wie z.B. Kelvinwellen auslösen können, deren weiterer Verlauf jedoch nicht mehr sehr stark von atmosphärischen Einwirkungen abhängig ist.

Die Delayed (Action) Oscillator-Hypothese (DAO)

Die DAO-Theorie von Suarez und Schopf (1988) gilt als Weiterentwicklung der Wasserstauhypothese von Wyrtki. Sie erklärt ENSO anhand relativ einfacher Kopplungsmechanismen zwischen der atmosphärischen Zirkulation in den Tropen, der Dynamik der ozeanischen Deckschicht und der SST im östlichen tropischen Pazifik. Von zentraler Bedeutung ist das Zusammenspiel äquatorialer Kelvinwellen und außeräquatorialer Rossbywellen. Die englische Bezeichnung drückt aus, dass es sich um einen Prozess handelt, bei dem zeitlich verzögerte Signale eine Rolle spielen.

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Idealisiertes Modell einer äquatorialen Kelvin-Welle auf ihrem Weg nach Osten, hervorgerufen durch eine Windschub-Anomalie (rot und orange) und korrespondierenden, sich nach Westen bewegenden Rossby-Wellen.

Wenn die Passate schwächer werden, veranlasst eine initiale Westwind-Anomalie im Zentralpazifik die Bildung einer sich ostwärts ausbreitenden Kelvin-Welle mit Downwelling. Das Downwelling drücht die Thermokline im Westen in die Tiefe und hebt sie im Osten an. Ozeanische Kelvin-Wellen sind entlang des Äquators gefangen und erreichen typischerweise eine Höhe von 5 - 10 cm, eine Breite von hunderten von km und eine gegenüber den umgebenden Wassermassen um ein paar Grad höhere Temperaturen. Sie haben Phasengeschwindigkeiten von 2-3 m/s und überqueren den Pazifik in ca. 3 Monaten.

Quelle: MetEd / UCAR
(Zugang über kostenfreie Registrierung)

Nach Graham und White (1988) bzw. Suarez und Schopf verursachen äquatoriale Kelvinwellen eine sich nach Osten ausbreitende Vertiefung der Thermokline, die im östlichen und zentralen tropischen Pazifik zu einer Erhöhung der SST führt (El Niño). Das Windfeld reagiert auf diese Erwärmung mit äquatorialen Westwind-Anomalien im 850 hPa-Niveau, was weitere, die Deckschicht vertiefende Kelvinwellen begünstigt (positive Rückkopplung) und mit Ostwind-Anomalien in außeräquatorialen Breiten verknüpft ist. Diese Ostwind-Anomalien verursachen ein Auseinanderströmen der Meeresoberfläche, als Folge ein Aufquellen von Tiefenwasser und damit eine Verringerung der Deckschichttiefe in außeräquatorialen Breiten. Die hierdurch entstandene Störung breitet sich als Rossby-Welle westwärts aus und benötigt je nach geographischer Breite etwa 1-2 Jahre zum Durchqueren des Pazifiks. An der westlichen Begrenzung des Pazifiks wird diese Rossby-Welle nun als äquatoriale Kelvinwelle reflektiert, die eine Erhöhung der Deckschicht bewirkt und nach Durchqueren des Pazifiks von West nach Ost ein La Niña-Ereignis auslöst (negative Rückkopplung).

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Zeitliche Entwicklung für die idealisierten experimentellen Kelvin- und Rossby-Wellen im Pazifik

Wenn die Passatwinde nachlassen und Westwindanomalien über lange Monate anhalten, bewegen sich starke Kelvin-Wellen ostwärts über den Äquator. Gleichzeitig mit der ostwärts wandernden Kelvin-Welle gibt es westwärts wandernde Rossby-Wellen. Die Aufeinanderfolge von Kelvin-Wellen führt zu einer anomalen Erwärmung des östlichen und zentralen Pazifiks. An der östlichen Grenze (Südamerika) werden die sich nach Osten ausbreitenden Kelvin-Wellen in Form von aufsteigenden Rossby-Wellen reflektiert, die sich entlang der Küste ausbreiten und sich auf beiden Seiten des Äquators nach Westen bewegen (75-100 Tage in der Abbildung links). Die sich innerhalb von 10 Grad beidseits des Äquators nach Westen ausbreitenden Rossby-Wellen sind die schnellsten der Rossby-Modi und erzeugen eine flachere Thermokline im Westen. Die sich langsamer bewegenden Rossby-Wellen werden an der westlichen Grenze (dem maritimen Kontinent) reflektiert und breiten sich ostwärts als aufsteigende Kelvin-Wellen aus, die die Thermokline im östlichen Ozean anheben (125-175 Tage in der Abbildung links). Eine ozeanische Rossby-Welle braucht etwa 8 Monate, um den Pazifik zu überqueren.

Daher wird der Schwingungszyklus die anfängliche SST-Erwärmung etwa 6 Monate nach seinem Einsetzen umkehren. Die Theorie des verzögerten Oszillators kann die Tendenz, dass kalte Anomalien auf warme Anomalien folgen, und die typische Zeitskala eines El Niño-Ereignisses erklären. Die Theorie des verzögerten Oszillators erklärt jedoch nicht die Beendigung der kalten Ereignisse. Für diese Phase von ENSO sind die beobachtete Kelvin-Wellen-Amplitude und die Windspannung schlecht korreliert im Vergleich zu dem, was von der Theorie des verzögerten Oszillators erwartet wird.
Quelle: MetEd / UCAR (Zugang über kostenfreie Registrierung)

"Delayed" bezieht sich darauf, dass in dieser Modellvorstellung die Rossby-Wellen im mittleren bis westlichen tropischen Pazifik angefacht werden, dann jedoch nicht direkt wieder auf das Geschehen im Ostpazifik einwirken können, sondern den zeitverzögernden Umweg über den westlichen Rand nehmen müssen. Zudem bewegen sich Wellen mit zunehmender Entfernung vom Äquator langsamer, somit sind Rossby-Wellen langsamer als Kelvin-Wellen. Ihre Signale kommen folglich mit Verzögerung im Westpazifik an. Das Windfeld reagiert auf die erniedrigte SST mit Ostwind-Anomalien in Äquatornähe und Westwind-Anomalien in außertropischen Breiten, was dort Rossby-Wellen mit "umgekehrtem Vorzeichen" auslöst (d.h. Rossby-Wellen, die eine Vertiefung der Deckschicht in außertropischen Breiten verursachen). Nach Erreichen der westlichen Berandung des Pazifischen Beckens reflektieren diese als äquatoriale Kelvinwellen, die im Bereich des äquatorialen Wellenleiters ebenfalls die Deckschicht vertiefen und somit im zentralen und östlichen Pazifik ein El Niño-Ereignis auslösen.

Dieser Mechanismus beinhaltet eine verzögerte negative Rückkopplung (außeräquatoriale Rossbywellen mit langsamer Ausbreitungsgeschwindigkeit), die zur Umkehrung der Phase des Systems notwendig ist, die Quasi-Periodizität von ENSO (ca. 3 - 7 Jahre) erklärt und auch schon mit Hilfe von gekoppelten Ozean-Atmosphärenmodellen (OAGCM, Ocean-Atmosphere General Circulation Models) durch ein Forcing mit ausgesuchten Windschubanomalien nachvollzogen wurde.
Ein Mangel dieses vergleichsweise einfachen Modells ist, dass es viele Phänomene von El Niño nicht erklärt, z.B. die unregelmäßige Periodizität.

Entwicklung des El Niño von 1997-98 (2° S - 2° N Mittelwerte)

Beginn des El Niño von 1997-98 ist gekennzeichnet durch äquatoriale Kelvin-Wellen mit Downwelling, welche von Westerly Wind Bursts ausgelöst wurden.



Quelle: MetEd / UCAR
(Zugang über kostenfreie Registrierung)

Da stärkere El Niño-Ereignisse oft mit stärkeren Westwindanomalien verbunden sind, neigen diese Ereignisse dazu, stärkere Rossby-Wellen auszulösen, eine stärkere Wahrscheinlichkeit zum Verfall des El Niño zu entwickeln sowie sich nach ihrer stärksten Phase gegen Ende des Kalenderjahres wieder umzukehren.

Eine kürzlich vorgestellte Variante dieser Theorie geht davon aus, dass das System nicht in sich instabil ist, und dass der Zyklus auf natürliche Weise zum Erliegen käme, wenn er nicht durch eine externe Energiequelle in Gang gehalten würde. Eine solche Energiequelle könnten zufällig oder chaotisch auftretende Wetterereignisse sein, die in der Lage sind, das System in einen bestimmten Zustand zu versetzen, sofern die Rahmenbedingungen gerade passend sind. Manche Wissenschaftler sehen solche Wetterereignisse als Ursache für das rasche Einsetzen und die hohe Intensität des El Niño von 1997/98.

Die Recharge/Discharge-Theorie

Das Modell geht letztlich auf eine Idee von Wyrtki (1975, 1985) sowie Cane und Zebiak (1985) zurück. Sie wurde von Jin (1997) in seiner Recharge Oscillator-Theorie aufgegriffen, der erstmals eine einfache, konzeptionelle Gleichung daraus ableiten konnte. Er erklärt die zwei Phasen von ENSO mit einem zyklisch ablaufenden Auf- und Entladeprozess von warmem Wasser unterhalb der Oberfläche. Ostwinde und die damit verbundenen Vorticity-Anomalien jenseits des Äquators führen zu einem Zusammenströmen von warmem Oberflächenwasser am Äquator (Sverdrup-Transport), welches in der Folge absinkt, nach Westen gelangt und so den Wärmegehalt des Westpazifik zunehmend ansteigen lässt. Ist genügend warmes Wasser angesammelt, wandert die Warmwasser-Anomalie ostwärts und erzeugt einen El Niño. Die resultierenden Westwind-Anomalien bewirken nun ein Auseinanderströmen von Oberflächenwasser am Äquator und somit ein Entladen des westpazifischen Wärmegehalts. Diese Kaltwasser-Anomalie wandert ebenfalls westwärts, beendet den El Niño und erzeugt ein La Niña-Ereignis.

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Schema der Recharge/Discharge-Theorie von ENSO

Diese Theorie (Jin 1997) setzt voraus, dass vor der Entstehung von El Niño einen Masse warmen Wassers in der Äquatorregion aufgebaut wird. Die Wärme wird nach bei einem El Niño nach nach Osten und polwärts "entladen" (discharged). Der Transport unter der Ekman-Schicht ist der Schlüssel für das Aufladen und Entladen.
Dargestellt sind
(a) die warme Phase,
(b) die warm-kalt Übergangsphase,
(c) die kalte Phase und
(d) die kalt-warme Übergangsphase. Die rote (blaue) SST steht für warme (kalte) SST
Anomalien und dünne schwarze Pfeile stehen für Windanomalien. Gestrichelte Linien stellen den Nullpunkt der Thermokline-Tiefenanomalien dar und schwarze Linien stehen für die Anomalien der Thermokline in der Tiefe. Schwere schwarze Pfeile bedeuten die Divergenz und Konvergenz des Sverdrup-Transports. Die grünen Pfeile stellen den mittleren klimatologischen Auftrieb dar.
Quelle: Wang, Ch. 2018

Ein Schlüssel für das Verständnis liegt vermutlich auch in der Rolle des tropischen Ozeans als Hitzespeicher. Während zu Niña-Ereignissen der Ozean als Folge reduzierten Niederschlags und reduzierter Bewölkung einen verstärkten solaren Wärmezustrom erfährt, wird bei Niño-Ereignissen Wärme aus den Tropen in höhere Breiten transportiert. Dies geschieht durch Meeresströmungen und durch den Transport von latenter Wärme als Folge der in den Tropen verdunsteten Wassermassen. Weltweite Klimamittelwerte belegen diesen Wärmezustrom, sie steigen bis zu 0,3 °C in den Monaten, die auf einen starken Niño folgen. Auf diese Weise verliert der tropische Pazifik Wärme während eines Niño und nimmt während einer Niña Wärme auf.
Die Vermutung geht nun dahin, dass die Zeitspanne bis zur "Wiederaufladung" des Ozeans mit Wärme die ENSO-Zyklen steuern könnte. Es wird aber auch hierbei nicht ausgeschlossen, dass eine Kombination mehrerer Auslöser am Werk sein kann.

Der Recharge Oscillator gilt heute als Paradigma für die Entstehung von ENSO. Burgers et al. (2005) haben das Modell des Recharge Oscillators mathematisch auf einen gedämpften harmonischen Oszillator weiter reduziert, wobei die Meeresoberflächentemperatur die Rolle des Impulses und der Wärmeinhalt (Tiefe der Thermokline) die des Ortes einnimmt.

Western Pacific Oscillator Theory

Die Theorie des Western Pacific Oscillator (Weisberg / Wang 1997) vermeidet Wellenreflexionen im Ozean gänzlich. An deren Stelle treten Wechselwirkungen mit der Atmosphäre, welche die benötigte negative sowie eine zusätzliche positive Rückkopplung erzeugen: Positive SST-Anomalien führen zu verstärkter Konvektion über dem Pazifik und induzieren ein Paar von Zyklonen nördlich und südlich des Äquators. Diese Zyklonen erzeugen Westwindanomalien über dem äquatorialen Pazifik, was wiederum die SST-Anomalie verstärkt. Gleichzeitig führt das durch die Zyklonen ausgelöste Ekman-Pumping zu einem Anstieg der Thermokline und somit zu einem Rückgang der SSTs jenseits des Äquators. Diese Anomalie breitet sich nach Westen aus, reduziert dort den Bodendruck und führt zur Entstehung von Antizyklonen außerhalb des Äquators während der El Niño-Hochphase. Die damit verbundenen Ostwindanomalien im Westpazifik erzeugen zu El Niño inverse Kelvinwellen und beenden damit den El Niño. McPhaden (1999) und Boulanger et al. (2003) fanden Hinweise auf diesen Mechanismus anhand von Beobachtungsdaten.

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Konzeptuelles Modell der ENSO-Theorie des Western Pacific Oscillators
(Adapted from Weisberg / Wang 1997)

Die Theorie des Westpazifischen Oszillators beginnt mit einer Erwärmung im westlichen Zentralpazifik, die ein Paar von Zyklonen im N und S des Äquators sowie Westwindanomalien am Äquator induziert. Die anomale Windspannung vertieft die Thermokline und erhöht die SST im Ostpazifik. Die positive Rückkopplung zwischen Windstress und SST führt zum Wachstum der Anomalie. Währenddessen hebt das Wirbelsturmpaar die Sprungschicht an, so dass die SST abnimmt und der Luftdruck im Westpazifik auf Meereshöhe beidseits des Äquators zunimmt.
Der anomale Hochdruck induziert östliche Windanomalien, die Auftrieb und Abkühlung verursachen. Die Abkühlung breitet sich ostwärts aus und sorgt für eine negative Rückkopplung, wodurch ein oszillierendes gekoppeltes Ozean-Atmosphären-System entsteht. Im Gegensatz zur Theorie des verzögerten Oszillators erfordert diese Theorie keine Wellenreflexion, damit das gekoppelte Ozean-Atmosphären-System oszilliert.

Quelle: MetEd / UCAR (Zugang über kostenfreie Registrierung)

Advective-Reflective Oscillator

Der Advective-Reflective Oscillator, vorgeschlagen von Picaut et al. (1997), sieht die positive Rückkopplung von zonalen Advektionsprozessen im Ozean als wesentlichen Mechanismus für ENSO an. Während eines El Niño-Ereignisses regen die Westwind-Anomalien im zentralen Pazifik demnach westwärts wandernde und mit Upwelling verbundene Rossbywellen sowie ostwärts wandernde und mit Downwelling verbundene Kelvinwellen an, die jeweils an den Rändern des pazifischen Beckens reflektiert werden. Dabei wandert die Rossbywelle als jetzt mit Upwelling verbundene Kelvinwelle zurück und umgekehrt. Beide Wellen überlagern sich im zentralen Pazifik und erzeugen westwärts gerichtete Strömungen, die den während El Niño ostwärts verlagerten westpazifische Warmpool wieder nach Westen zurückdrängen und so den El Niño beenden und die nächste Kaltphase einleiten. Da sowohl die mit Upwelling verbundenen Kelvinwellen, als auch die mit Downwelling verbundenen Rossbywellen westwärtige zonale Strömungen besitzen, tendieren sie dazu, den Western Pacific Warm Pool (WPWP) an seine ursprüngliche Position im Westpazifik zurückzuverlagern. Diese negativen Feedbacks zusammen mit dem negativen Feedback der mittleren zonalen Strömung zwingen das gekoppelte Ozean-Atmosphären-System zu oszillieren.

Schema des Advective-Reflective Oscillators

Schema des Advective-Reflective Oscillators

Schematische Darstellung des advektiven-reflektiven Oszillators. Gelbe Pfeile stehen für zonale Windanomalien und graue Pfeile für ozeanische Strömungen. Die schwarze dicke durchgezogene Linie zeigt den östlichen Rand des westpazifischen Warmpools.

Kd und Kup stehen für abwärts und aufwärts gerichtete Kelvin-Wellen, die sich ostwärts ausbreiten. Rup und Rd stehen für auf- und abwärts gerichtete Rossby-Wellen, die sich westwärts ausbreiten.
Quelle: Wang, Ch. 2018

Auch für diesen Mechanismus konnten Anzeichen in Beobachtungen und Modellen gefunden werden (Delcroix et al. 2000; Clarke et al. 2000).

Demnach wird hier als Modifikation der Delayed Action Oscillator-Theorie ein Konzept vorgeschlagen, in dem die äquatoriale Wellenreflektion an der östlichen Ozeanberandung wichtiger ist als an der westlichen Berandung und in der zonale Advektion insgesamt effektiver ist als vertikale Advektion, um das gekoppelte ENSO-System an seinen richtigen Platz zu bringen, nämlich in den zentralen Äquatorialpazifik.

Unified Oscillator

Die Unified Oscillator-Theorie (Wang 2001) versucht die physikalischen Elemente der früheren Oszillationsmodelle zu kombinieren. Da ENSO sowohl im östlichen als auch im westlichen Pazifik Anomaliemuster aufweist, wurde dieses Oszillatormodell so entworfen, dass es SST-Anomalien im äquatorialen Ostpazifik, Anomalien des zonalen Windschubs im zentralen und westlichen Äquatorialpazifik und Tiefenanomalien der Thermokline im äquatorferneren Westpazifik berücksichtigt. Das Modell kann auf interannuellen Zeitskalen oszillieren. Der Unified Oscillator behandelt ENSO als Multimechanismus-Phänomen, und die relative Bedeutung der verschiedenen Mechanismen ist zeitabhängig (Picaut 2002). Die oben vorgestellten Oscillator-Modelle werden als Spezialfälle der Unified Oscillator-Theorie gesehen.

Schema des Unified Oscillators

Schema des Unified Oscillators

Schematische Darstellung des Unified Oscillators. Der Unified Oscillator umfasst alle negativen Rückkopplungen der vorherigen vier ENSO-Oszillatoren, darunter die reflektierte Kelvin-Welle an der westlichen Ozeangrenze, der Entladungsprozess aufgrund des Sverdrup-Transport, die durch den Westpazifikwind erzwungene Kelvin-Welle und die reflektierte Rossby-Welle an der östlichen Begrenzung des Ozeans.
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Quelle: Wang, Ch. 2018

Heat Pump-Hypothese

Sun (2003) betrachtet ENSO in seiner Heat-Pump-Hypothese aus einem energetischen Blickwinkel. Dazu analysierte er Beobachtungsdaten zunächst im Rahmen einer Fallstudie anhand des 1986/87-El Niño (Sun 2000) unter Verwendung von Daten des Earth Radiation Budget Experiments (ERBE, 1985-89). Später weitete er die Analyse mit NCEP/NOAA-Daten zur Zirkulation auf den Zeitraum von 1980 bis 2000 aus (Sun 2003). Er konnte darin feststellen, dass der polwärtige Transport von äquatorialer Wärme schubweise abläuft und diese Schübe sehr gut mit El Niño-Ereignissen korrelliert sind. Er betrachtete daher El Niño als den wesentlichen Mechanismus, über den der äquatoriale Pazifik Wärme polwärts abtransportiert. Darüber hinaus stellt er fest, dass den schweren El Niños von 1982/83 und 1997/98 eine ungewöhnlich starke Erwärmung des westpazifischen Warmwasserkörpers vorausging und dass dieses Übermaß an thermischer Energie für die Stärke der El Niños verantwortlich sein könnte. Das Ansammeln von Wärme geschieht dabei während eines La Niña-Zustands: Die Kaltwasserzunge des La Niña führt zu einem erhöhten Wärmestrom in den Pazifik, da Verdunstung und fühlbarer Wärmefluss reduziert sind. Der hohe Zonalgradient der SST bewirkt außerdem verstärkte Ostwinde, die dafür sorgen, dass die eingestrahlte Energie in hohem Maße in tiefere Ozeanschichten im Westpazifik abgeführt und dort akkumuliert wird. Dadurch erfolgt ein allmähliches Ansteigen des westpazifischen Wärmegehalts verbunden mit einem Absinken der Thermokline. Sun vermutet, dass der Ozean dadurch zunehmend an Stabilität verliert und es schließlich zu einem El Niño-Ereignis kommt.

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Schemadarstellung der Heat Pump-Hypothese für ENSO

Die Reaktion des gekoppelten Systems Ozean-Atmosphäre am Äquator auf eine Zunahme der strahlungsbedingten Erwärmung besteht aus zwei Phasen. In Phase I verstärkt sich der zonale SST-Kontrast - der Westpazifik wird wärmer, aber der Ostpazifik wird kälter. Dies erlaubt es dem Ozean die zusätzliche Wärme von oben aufzunehmen und sie in die Wassersäule unterhalb der Oberfläche (subsurface ocean) zu transportieren, insbesondere im Westpazifik. (Abb. oben).

Wenn die Thermokline im Westen tiefer sinkt, wird der Ozean jedoch unstabiler. Es entwickelt sich dann ein stärkerer El Niño, der mehr Wärme polwärts transportiert und die Wirkung der verstärkten strahlungsbedingten Erwärmung auf die Meeresoberflächentemperaturen sowie auf die Tiefe der Thermokline in Phase I umkehrt. Dadurch wird der Effekt der verstärkten strahlungsbedingten Erwärmung auf die Struktur des gekoppelten Ozean-Atmosphäre-Systems am Äquator.

 

Quelle: Sun (2003)

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Von stochastischem Antrieb ausgelöster stabiler Modus

Eine weitere Auffassung von ENSO sieht El Niños als Serie von separaten Warmereignissen, die von neutralen oder kalten Bedingungen (La Niñas) unterbrochen werden. Das heißt, ENSO kann als stabiler (oder gedämpfter) Modus charakterisiert werden, der durch stochastische Antriebe aus Ozean oder Atmosphäre ausgelöst wird (z.B. Philander/Fedorov 2003; Kessler 2002). Diese Hypothese beinhaltet, dass Störungen von außerhalb des gekoppelten Systems die Quelle von zufälligen Antrieben sind, die ENSO antreiben. Ein reizvolles Merkmal dieser Hypothese besteht darin, dass sie eine natürliche Erklärung für das unregelmäßige Verhalten der ENSO-Variabilität in Gestalt von Hintergrundrauschen bietet.

Da diese ENSO-Sicht das Vorhandensein von „Rauschen“ erfordert, erklärt sich leicht, weshalb jeder El Niño verschieden ist und El Niño so schwierig vorherzusagen ist (z.B. Landsea and Knaff 2000; Philander/Federov 2003). Der externe atmosphärische Antrieb kann von der Madden-Julian Oscillation oder von Westerly Wind Bursts (z.B. Gebbie et al. 2007) herkommen, und das ozeanische Rauschen mag von tropischen Instabilitätswellen herrühren (z.B. An 2008).

Schlussbemerkungen

Unabhängig davon, ob El Niño ein eigenständiger Oszillator oder eine stabile Mode ist, die durch stochastischen Antrieb ausgelöst wird, er beginnt mit warmen SST-Anomalien im äquatorialen Zentral- und Ostpazifik. Nachdem ein El Niño sein Reifestadium erreicht hat, sind negative Rückkopplungen nötig, um das Wachstum der Anomalien des reifen El Niño im zentralen und östlichen Pazifik zu beenden. Mit anderen Worten, die negativen Feedbacks des Delayed Oscillators, des Recharge Oscillators, des Western Pacific Oscillators und des Advective-Reflective Oscillators können immer noch für den Niedergang eines El Niño verantwortlich sein, auch wenn El Niño als eine stabile Mode betrachtet wird, die durch zufälligen Antrieb ausgelöst wurde.

Obwohl jede dieser Theorien die Bildung und Entwicklung von ENSO teilweise erklären kann, bleiben dessen grundlegende Ursachen und Mechanismen unklar. Daher befindet sich auch die Vorhersagemöglichkeit von ENSO noch immer bei einer Grenze von ca. sechs Monaten, wobei keine verlässlichen Aussagen zur Intensität und Dauer möglich sind. Im Zusammenhang mit der Beantwortung fundamentaler ENSO-Fragen lohnt ein schmunzelnder Blick auf eine diesbezügliche Aussage von Bob Kessler (NOAA): "If I could answer them, I'd publish the results and retire famous" (Eichholz 2012).

Auf der Suche nach möglichen Auslösern für El Niño-Ereignisse entstanden auch umstrittene Theorien. Eine davon sieht einen Zusammenhang zwischen El Niño und der Anzahl der Sonnenflecken. Eine andere Theorie meint, dass die französischen Atomtests im Pazifik vor einigen Jahren El Niño beeinflusst hätten. Beide Theorien werden von den meisten Wissenschaftlern jedoch nicht sehr ernst genommen.

Auch wurde ein ursächliches Einwirken von Vulkanismus auf ENSO lange Zeit überwiegend ausgeschlossen, ein Zusammenhang ist aber noch nicht endgültig geklärt. Beispielsweise stellt eine Studie von McGregor et al. (2010) in Übereinstimmung mit früheren Arbeiten fest, dass vulkanischer Antrieb eine statistisch signifikante Veränderung des mittleren Zustands von ENSO im Jahr des Ausbruchs und eine Verdoppelung der Wahrscheinlichkeit eines El Niño (La Niña) Ereignisses im Jahr des Ausbruchs bzw. drei Jahre danach bewirken kann.

Eine neuere Nature-Studie (Khodri et al. 2018) geht davon aus, dass explosive vulkanische Eruptionen in den Tropen El Niño-Ereignisse auslösen können, indem sie das tropische Afrika abkühlen. Vulkanisches Aerosol, das in die Stratosphäre gelangt, reflektiert kurzwellige Sonnenstrahlung und reduziert dadurch die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche. Beobachtungen legen nahe, dass sie auch El Niño-Ereignisse in den zwei Folgejahren nach dem Ausbruch begünstigen. Simulationen mit Klimamodellen führen ferner zu dem Ergebnis, dass Pinatubo-ähnliche Ausbrüche dazu neigen, La Niñas zu verkürzen und El Niños zu verlängern, bei Neutralsituationen verursachen sie eine anomale Erwärmung. Vulkanisch induzierte Abkühlung im tropischen Afrika schwächt den westafrikanischen Monsun, und die daraus resultierende atmosphärische Kelvin-Welle treibt äquatoriale Westwind-Anomalien über dem Westpazifik an. Diese Windanomalie wird durch Interaktionen zwischen Atmosphäre und Meer im Pazifikbereich verstärkt, was eine El Niño-ähnliche Reaktion bewirkt.

Umgekehrt ist beispielsweise die Wirkung von Vulkanismus auf den Luftdruck in Meeresspiegelhöhe stark von ENSO überlagert. Ohne nachhaltigen Beleg blieben auch Überlegungen zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen untermeerischen Lavaaustritten und El Niño.

Zu guter letzt:

ENSO ist eines der natürlichen Klimaphänomenen, deren Verständnis, Beobachtungen und Vorhersagen relativ erfolgreich und vollständig sind, dank der harten und hervorragenden Arbeit der internationalen Forschungsgemeinschaft in den letzten drei Jahrzehnten. Dennnoch reichen Vorhersagen der verschiedenen ENSO-Phasen auch mit aufwendigen OAGCMs (Ocean-Atmosphere-General-Circulation-Model) beim heutigen Stand der Forschung lediglich in einen Zeitraum von bis zu 6, maximal 12 Monaten.

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