Das ENSO-Phänomen

 » ENSO-Lexikon » S » Seerecht

ENSO-Lexikon

Seerecht

Die Gesamtheit des für die See und ihre Nutzung geltenden Rechts. Es ist geprägt von zahlreichen Besonderheiten, die meist in der isolierten Situation auf See und im Fehlen staatlicher Souveränität auf hoher See begründet sind. Unterscheiden lässt sich privates und öffentliches Seerecht. Von Bedeutung sind insbesondere das internationale öffentliche Seerecht, welches das Seevölkerrecht bildet, im Privatrecht das Seehandelsrecht, im öffentlichen Recht das Seeverkehrsrecht, das Flaggenrecht und weitere. Daneben gibt es weitere Sonderbestimmungen, die es erlauben, von Seearbeitsrecht, Seestrafrecht und Seeprozessrecht zu sprechen.

Zwischen 1973 und 1982 gab es drei UN-Seerechtskonferenzen (United Nations Convention on the Law of the Seas, UNCLOS), deren Ziel es war, ein international geltendes Seerecht zu etablieren.
Das gelang mit der dritten UN-Seerechtskonferenz (UNCLOS III) im Jahr 1982. Ihr Ergebnis war die Schaffung des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ). Bis heute wurde das SRÜ von 157 Staaten ratifiziert.

Das SRÜ ist mit insgesamt 320 Artikeln der umfangreichste und bedeutsamste multilaterale Vertrag, der im VN-Rahmen entwickelt wurde. Er ersetzt die vier Genfer Seerechtskonventionen von 1958 und trifft Regelungen über nahezu alle Bereiche des Seevölkerrechts (Abgrenzung der verschiedenen Meereszonen wie Küstenmeer, Anschlusszone, Meerengen, Archipelgewässer, ausschließliche Wirtschaftszone, Festlandsockel, Hohe See; Nutzung dieser Gebiete durch Schifffahrt, Überflug, Rohr- und Kabelverlegung, Fischerei und wissenschaftliche Meeresforschung; Schutz der Meeresumwelt; Entwicklung und Weitergabe von Meerestechnologie; Regelung des Meeresbodenbergbaus; Streitbeilegung, insbesondere Errichtung des Internationalen Seegerichtshofes). Durch das SRÜ wurden sowohl geltendes Seevölkerrecht kodifiziert als auch neue seevölkerrechtliche Normen geschaffen wie beispielsweise im Bereich des Meeresumweltschutzes. Auf jährlichen Vertragsstaatenkonferenzen beraten die Vertragsparteien über die Umsetzung des Übereinkommens.

meereszonen_unclos

Ordnung der Meereszonen nach dem UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS)

sm = Seemeile = 1,852 km

 

Quelle: WBGU

Angesichts der inzwischen teilweise überholten Inhalte und Struktur des SRÜ schlägt der WBGU (2013) eine neue Meeres-Governance (Zusammenfassung), also eine Gestaltung von Schutz und Nutzung der Meere vor. Ausgangspunkt ist ein fundamentaler Standpunkt- bzw. Perspektivenwechsel und die Anwendung der folgenden drei Prinzipien:

  1. Die Meere als Menschheitserbe: Die Meere sind ein globales Kollektivgut, für das klar definierte, an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Schutzverpflichtungen und Nutzungsrechte fehlen. Aus dem Menschheitserbeprinzip folgt aus Sicht des WBGU, dass globale Kollektivgüter allen Menschen zugänglich sein müssen und keinem Staat, Individuum oder Unternehmen uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Die Erhaltung und nachhaltige Nutzung des Menschheitserbes erfordert Sachwalter, ein Schutz- und Nutzungsregime sowie Teilungsregeln, mit denen Kosten und Vorteile des Regimes gerecht verteilt werden. Daraus ergibt sich, aus politikwissenschaftlicher Perspektive, ein System geteilter Souveränitätsrechte zwischen Staaten, basierend auf einem globalen, an Nachhaltigkeitszielen ausgerichteten Ordnungsrahmen.
  2. Der systemische Ansatz: Der weithin in der Meeres-Governance vorherrschende sektorale Ansatz, der durch einen engen Blick auf die jeweilige Nutzung (z. B. Fischerei, Ölförderung, Naturschutz) geprägt ist, wird den systemischen Anforderungen der Nachhaltigkeit nicht gerecht. Der WBGU beabsichtigt mit der Einführung eines systemischen Ansatzes eine Integration der verschiedenen Systemebenen sowie eine Integration der Interaktionen natürlicher und sozialer Systeme, die beim Umgang mit den Meeren berücksichtigt werden sollten. Der Ansatz beinhaltet folgende Ebenen: Erstens sind Meeresökosysteme selbst komplexe Systeme, die nach einem „ökosystemaren Ansatz“ geschützt und genutzt werden sollten. Zweitens sollte der systemische Ansatz über die Nutzungen der Meeresökosysteme weit hinausgehen und auch Land/Meer-Interaktionen berücksichtigen, denn viele Risiken für die Meere haben ihre Ursache in der Wirtschaftsweise an Land. Drittens sollten im Zeitalter des Anthropozäns auch die Kopplungen im Erdsystem berücksichtigt werden, beispielsweise CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern, die Meeresökosysteme indirekt über den Klimawandel durch Temperaturanstieg sowie direkt über die Versauerung des Meerwassers schädigen. Auf allen diesen Ebenen ist viertens zu berücksichtigen, dass komplexe und dynamische Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Natur bestehen.
  3. Das Vorsorgeprinzip: Das Vorsorgeprinzip sieht vor, dass nach dem (neuesten) Stand von Wissenschaft und Technik Vorsorge gegen mögliche Umweltschäden getroffen wird, auch wenn keine vollständige wissenschaftliche Gewissheit über die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens oder über die Schadenshöhe besteht. Bei komplexen Systemen, zu denen die Meeresökosysteme mitsamt ihrer Land/Meer-Interaktionen ohne Zweifel gehören, ist die Anwendung des Vorsorgeprinzips besonders wichtig, da ihre Reaktion auf Einflüsse oder Störungen schwer abschätzbar ist.

Weitere Informationen:

Pfeil nach linksSedimentkernStichwortlisteIndexSenkePfeil nach rechts